Tim Stübane HORIZONT

Nachhaltigkeit ist längst mehr als „Öko“ und spielt in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen eine zentrale Rolle. Doch noch immer bedeutet „nachhaltig“ zu oft auch „teuer“. Tim Stübane von The Goodwins plädiert in seiner Talking-Heads-Kolumne deshalb für einen Paradigmenwechsel und erläutert, wie dieser aussehen sollte.

Nachhaltigkeit ist mehr als „Öko“

Wer Nachhaltigkeit immer noch mit „Öko“ gleichsetzt, denkt zu kurz. Die Debatte um Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft hat die Bühne dominiert, doch die eigentliche Wende spielt sich längst woanders ab: Nachhaltigkeit ist heute ebenso soziale Gerechtigkeit, faire Löhne, sichere Arbeit und lokale Teilhabe. Menschen wollen nachhaltig konsumieren – aber nicht mehr um jeden Preis. Die Bereitschaft, für das grüne Label einen Aufpreis zu zahlen, schwindet. Das ist kein Rückzug, sondern eine Verschiebung: Die Zeit der moralischen Prämien ist vorbei.

Die Polykrise und der Wandel im Konsumverhalten

Warum? Weil die alte Premium-Logik in der Polykrise versagt. Inflation, Krieg, Unsicherheit und steigende Energiepreise prägen das Jahr 2025. So wird Konsum rabattgetrieben: Bis zu 70 Prozent der Käufe erfolgen nur mit Preisnachlass, 60 bis 75 Prozent wechseln die Marke, wenn der Preis stimmt, und größere Anschaffungen werden gänzlich verschoben. Moralische Appelle laufen ins Leere, wenn der Kassenzettel das letzte Wort hat. Nachhaltigkeit muss sich rechnen, und sie muss für alle erreichbar sein.

Die neue Leistungserzählung

Die Antwort kann keine weitere „grüne“ Kampagne sein, sondern eine neue, radikal ehrliche Leistungserzählung. Was zählt, ist der konkrete Nutzen: längere Produktlebenszyklen, echte Reparierbarkeit, Refurbished statt Wegwerf-Neu. Nachhaltigkeit wird zum smarten Standard, nicht zum Luxus. Sie muss sozial legitimiert sein – durch Living-Wage in der Lieferkette, sichere Jobs, lokale Wertschöpfung. Und das alles belegt mit einfachen, überprüfbaren Kennzahlen, nicht mit Pathos.

Kombination aus Fairness und Alltagsnutzen

Genau diese Kombination trägt: Messbare Fairness plus spürbarer Alltagsnutzen schlägt jede symbolische Öko-Premium-Rhetorik. Value-first Sustainability heißt, ökologische und soziale Wirkung als ein einziges Leistungsversprechen zu denken – ganz praktisch, ganz nah am Leben der Menschen. Das zeigt sich in längeren Garantien, echter Reparierbarkeit, Ersatzteilen und Refills, zertifizierten Pre-Owned-Kanälen mit Garantie. Die soziale Lieferkette wird zum echten Argument – transparent, überprüfbar, nachvollziehbar.

»Wer heute noch „grün“ mit Aufpreis verkauft, fährt ein Auslaufmodell.«

Transparenz ist der Schlüssel: wenige harte Kennzahlen, extern verifiziert, dort platziert, wo entschieden wird – am Regal, auf der Produktseite, beim Checkout. In unsicheren Zeiten überzeugt nicht die laute Haltung, sondern die leise Verlässlichkeit: „ohne Aufpreis“, „zum bisherigen Preis“, „spart X € im Jahr“ – die Signale eines neuen Wert-Mindsets.

Konsequenz für Marken und Märkte

Wer heute noch „grün“ mit Aufpreis verkauft, fährt ein Auslaufmodell. Wer „fair, haltbar, bezahlbar“ liefert, wird weiterempfohlen – weil Preisfokus und Nutzenorientierung das Kaufverhalten dominieren. Die soziale Wende der Nachhaltigkeit ist da. Sie bedeutet: weg von exklusiven Öko-Erzählungen, hin zu einem kombinierten Versprechen aus ökologischer Wirkung und sozialer Fairness – erschwinglich gemacht und transparent belegt.

Appell und Ausblick

Nachhaltigkeit bleibt zentral. Aber das Paradigma muss sich ändern. Mein Appell: macht ökologische und soziale Nachhaltigkeit bezahlbar, überprüfbar und unmittelbar erfahrbar – als Value-first-Versprechen für alle. Denn in einem Markt, der von Unsicherheit und Preisfokus geprägt ist, gewinnen die Marken, die Wirkung erschwinglich machen, Fairness messbar leben und Nutzen sofort erlebbar machen. Das ist nicht nur die bessere Wachstumsstrategie, es ist ohnehin die richtige Richtung.

Denn am Ende geht es ja um mehr als wirtschaftlichen Erfolg. Es geht um den Lebensraum für uns Menschen. Ökologische Nachhaltigkeit rettet nicht den Planeten – der wird auch ohne uns bestehen –, sondern sichert unser eigenes Überleben. Doch was wäre dieses Leben ohne soziale Fairness, Teilhabe und Verlässlichkeit? Erst das Zusammenspiel von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit schafft eine Zukunft, die wirklich lebenswert ist.