Tim Stübane Horizont

So richtig grün war der Wahlkampf zur am kommenden Sonntag stattfindenden Bundestagswahl nicht wirklich. Dabei gibt es für unsere Zukunft keine essenzielleren Themen als Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Dieser Überzeugung ist Tim Stübane, Kreativchef der auf nachhaltige Markenkommunikation spezialisierten Agentur The Goodwins. In seiner Talking-Head-Kolumne erklärt er, warum es gerade in Anbetracht der nahenden Schicksalswahl und der globalen Klimaziele wichtiger denn je ist, nachhaltigen Konsum zu propagieren und ein neues Werbezeitalter einzuläuten.

Die Bundestagswahl kommt, nur noch wenige Tage. Wir fiebern ihr scheinbar alle mehr entgegen als in den Jahren zuvor. Die Schicksalswahl. Die Wahl, die darüber entscheidet, wie wir und unsere Kinder und Enkel in Zukunft leben werden. Aber egal, wie die Wahl ausgeht, sie ist jetzt schon verloren. Selbst wenn die Grünen stärkste Kraftwerden sollten, wird es schwierig werden, uns auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen. Selbst das Wahlprogramm der Grünen ist noch zu lasch, um schnell genug den notwendigen Wandel herbeizuführen. Wir sind in unserer Branche ja immer stärker Data-driven und entscheiden auf der Basis von Zahlen. Wenn wir nun auch der Wissenschaft bei ihren Klimaprognosen und den Kausalitäten folgen, was wäre dann ein folgerichtiges Verhalten? Ein etwas patziger Vorschlag: Einfach selber machen, dann wird’s auch gut! Und wir haben in unserer Branche ja einen ungemein starken Hebel in der Hand: dieKommunikation, über die wir Konsumentscheidungen beeinflussen können.

„Mit unserem Konsum machen wir das Kreuz bei Unternehmen, die sich nachhaltig bemühen -oder eben bei Unternehmen, die auf dem Weiter-so-Trip sind.“

Konsum ist eine unserer großen Kulturtechniken und sie wird so schnell nicht verschwinden, keine Sorge. Auch nicht durch Verbote. Aber: Wir werden deutlich anders konsumieren müssen als bisher. Und wir werden andere Menschen mittels Kommunikation davon überzeugen müssen mitzumachen.
Uns allen muss klar sein, dass wir bereits tagtäglich zigfach wählen. Mit Klicks auf den „Jetzt-kaufen“-Button und dem Griff ins Regal. Auch das ist Demokratie! Mit unserem Konsum machen wir das Kreuz bei Unternehmen, die sich nachhaltig bemühen – oder eben bei Unternehmen, die auf dem Weiter-so-Trip sind. Wir steuern mit unserer Wahl damit nicht nur die Wirtschaft in Deutschland, sondern aufgrund verzahnter Lieferketten in der ganzen Welt.

Für 65 Prozent Prozent der Menschen ist Umwelt- und Klimaschutz trotz Corona ein Top-Themageblieben (Quelle: Umweltbundesamt). Dazu verhalten wir uns jedoch noch viel zu häufig zu inkonsequent. Würden wir im Sinne unseres Planeten und somit unserer eigenen Zukunft handeln, dürfte es hauptsächlich nachhaltige Produkte um uns herum geben. Offensichtlich sind wir noch nicht so weit.

Gut, es ist auch komplex und verwirrend, was gerade passiert. Klimawende, Verkehrswende,Energiewende, Agrarwende, Ernährungswende … Die Welt ist im Wandel und mit ihr die Marken.

Für die Medienbranche ist es ein Innovationstreiber: Wir beginnen Marken ökologisch wie sozial handeln zu lassen, wir entwickeln die ersten klimaneutralen Kampagnen, es entstehen neue Mediaprodukte wie der Green GRP, eine auf Nachhaltigkeitsargumente ausgerichtete Kommunikation wird immer wichtiger.

Denn die Menschen suchen verstärkt nach Orientierung: 69,8 Prozent der Menschen sind Bio- oderFairtrade-Siegel wichtig. Bei Kleidung achten 57,8 Prozent und bei Möbeln 55,3 Prozent auf entsprechende Hinweise (Quelle: IUBH). Das Problem: Allein in Europa gibt es über 200 Stück davon(Quelle: EU). Sie alle haben unterschiedliche hohe Standards, sie bedeuten aber z.T. nichts anderes als Greenwashing. Und es werden mehr Labels werden. Oatly, Frosta, Mymuesli und Nestlé kommen jetzt mit einem Klima-Label, das zeigt wie viel CO2 und andere Treibhausgase bei der Herstellung entstehen. Veganz ist noch weiter gegangen mit dem Eaternity-Label, das die gesamte Ökobilanz eines Produkts ausweist.

„Wir haben die Macht, über Erfolg und Misserfolg von Produkten zu entscheiden – nutzen wirsie! Machen wir nachhaltige Produkte sexy, machen wir sie zur Pop-Kultur.“

Um optimale Orientierung bieten zu können und Vertrauen zu schaffen, muss Einheitlichkeit,Unabhängigkeit und ein hoher Zertifizierungsstandard gewährleistet sein. Hier will die EU eingreifen und Fakten schaffen. Gut so, solange es nicht zu Bürokratie- und Kostenexplosionen bei den ja zum Teil recht kleinen, innovativen Unternehmen führt.

Wir sollten den Job damit jedoch nicht als erledigt ansehen. Im Gegenteil: Unsere kommunikative Aufgabe muss sein, die Menschen mitzunehmen bei dem globalen Veränderungsprozess. Sie mit Hilfe von Kommunikation vom Konsum nachhaltiger Produkte zu begeistern und zu überzeugen. Wir haben die Macht, über Erfolg und Misserfolg von Produkten zu entscheiden – nutzen wir sie! Machen wir nachhaltige Produkte sexy, machen wir sie zur Pop-Kultur. Wir müssen Verantwortung für die von uns entwickelten und transportierten Inhalte übernehmen im Hinblick auf die Richtung, in die wir mit ihr den Konsum beeinflussen.

Ist das die Werbewende? Ich würde es mir wünschen.