Tim Stübane Horizont

Nachhaltigkeitskommunikation wird für Unternehmen immer wichtiger – erst recht aufgrund der „Green Claims Directive“ der EU, die Greenwashing verhindern soll. Unser Talking-Head-Kolumnist Tim Stübane zeigt anhand mehrerer Negativbeispiele auf, wie Nachhaltigkeitswerbung nicht geht – und hat auch einen Best Case in petto.

Es scheint sich eine gewisse nachlässige Leichtigkeit in die Nachhaltigkeitskommunikation eingeschlichen zu haben. Vielleicht, weil ja alle „was mit Nachhaltigkeit“ machen, möchte man als Marketingverantwortliche:r den Zug natürlich nicht verpassen. Oder auch weil der Druck der Verbraucher:innen so groß wird. Den Erwartungen will bzw. muss man gerecht werden, auch wenn hinter der Kommunikation in Wahrheit vielleicht gar keine ausreichend substanzielle Nachhaltigkeitsbemühung steht.

So kommunizieren zwar immer mehr Unternehmen, Organisationen und öffentliche Einrichtungen flugs ihre Bemühungen und Fortschritte im Bereich Nachhaltigkeit, gleichzeitig entwickelt die Gesellschaft aber auch eine steigende Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen – sozial wie ökologisch. Parallel dazu greifen immer mehr gesetzliche Vorgaben und neue entstehen, die einheitliche Regeln für die Kommunikation schaffen sollen.

Die Folge: immer mehr kommunikative Fails. Meine These: Agenturen und Marketingabteilungen, die sich gerne als Trendsetter sehen, hinken der rasanten Entwicklung hinterher und arbeiten z.T. nicht unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte, die für einen Erfolg notwendig sind.

Hier ein paar populäre Negativbeispiele:

Die Nachhaltigkeitskampagne „Better M“ von McDonald’s wirbt mit Einwegverpackungen für die Recycling-Bemühungen des Unternehmens. Es wird suggeriert, es sei nachhaltig Einwegverpackungen zu nutzen. Das ist falsch, zumal McDonalds nur einen Bruchteil der erwähnten Recycling-Maßnahmen umgesetzt hatte. Zurecht gab es scharfe Diskussionen.

McDonald’s wirbt für Recycling – doch selbst setzt der Fastfood-Riese die Maßnahmen nur unzureichend um

Die Fluggesellschaft KLM warb mit dem Slogan „Fly responsibly“. Diese Aussage war irreführend, denn Fliegen mit KLM ist nicht nachhaltig. Zu wenige Maßnahmen der Airline reduzieren die negativen Aspekte des Fliegens. Zurecht wurde das Unternehmen dafür in den Niederlanden des Greenwashings schuldig gesprochen.

KLM: Fly Responsibly

Mit der Aktion „Wahre Preise“ versuchte Penny „mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion“ zu vermitteln. Dafür wurden eine Woche lang in neun Produkte deren Umweltfolgekosten eingepreist. An sich ehrenwert, wenn Penny nicht sonst auch bekannt dafür wäre, die Kosten für die Lebensmittelproduktion massiv zu drücken. Das eigene Verhalten stand also konträr zur Kommunikation. 46% der Befragten sagten letztlich auch, es handele sich hier nur um Marketing ohne weitere Auswirkungen.

Mit der PR-Aktion „Wahre Kosten“ hat Penny im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt

Wir könnten solche Beispiele wohlwollend als notwendige Versuche bezeichnen, um auszuloten, was kommunikativ möglich ist und was nicht. Dafür sind diese Kampagnen und ihre Konsequenzen für die jeweiligen Unternehmen aber zu risikoreich. Während z.B. KLM straffrei aus dem Gerichtsverfahren hervorging, musste die Brauerei Gösser sämtliche Flaschen mit der Aussage „CO2-neutral gebraut“ neu etikettieren lassen, da die Aussage so nicht haltbar war. Auch Aldi und Katjes befinden sich aktuell in Prozessen aufgrund der mutmaßlich zu großzügigen Verwendung des Begriffs „klimaneutral“.

Und wie weit das Marketing aktuell von der Einhaltung der kommenden EU-weiten Green Claims Directive entfernt ist, haben wir von THE GOODWINS kürzlich in Kollaboration mit House of Change und Popular Packaging aufgezeigt. Nur 3 der 163 untersuchten Verpackungen erfüllten die Regularien, alle anderen waren mindestens risikobehaftet.

Offensichtlich steigen die Anforderungen an Agenturen, Marketingabteilungen und ihre Legal Departments. Als Verantwortliche*r kann ich nicht mehr wie noch vor einigen Jahren locker-lustige Kommunikation entwickeln. Ich muss eine Vielzahl von Aspekten im Kopf haben und die dazu passende Expertise zur Hand, um markttaugliche Lösungen zu entwickeln.

Lasst uns Nachhaltigkeitskommunikation unbedingt machen, aber nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Tim Stübane

Die Kommunikation – und damit auch die Agentur und Marketingabteilung – muss mit den richtigen Inhalten in der richtigen Tonalität den Balanceakt schaffen zwischen der immer sensibleren und kritischer reagierenden Gesellschaft, den gesetzlichen Vorgaben („Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel“, „Green Claims Directive“), den immer größer werdenden medienökonomischen Herausforderungen im Kampf um die Aufmerksamkeit und unternehmensintern dem Wunsch nach Effektivität aufgrund von geringeren Ressourcen bei erhöhtem Erfolgsdruck.

Wir erinnern uns, dass das Thema „Healthcare“ irgendwann so anspruchsvoll wurde, dass normale Agenturen mit ihrem Skillset benachteiligt waren. Es entstanden Spezialagenturen, die in der Lage waren, Marken in diesem Bereich entlang aller Anforderungen zum Erfolg zu führen.

Bleibt abzuwarten, ob wir beim Thema Nachhaltigkeit eine ähnliche Entwicklung sehen werden, um als Agenturen weiterhin in diesem Bereich erfolgreich arbeiten zu können. Verstärkend kommt hinzu, dass das Feld der Nachhaltigkeitskommunikation ja nicht nur strategisch-konzeptionell eine Herausforderung darstellt, sondern auch im weiteren Prozess über Green Production, Green und Good Media Spezial-Expertise erfordert.

Als Kreativer bin ich eigentlich ein Fan von Trial-and-Error, um die bestmögliche Lösung spielerisch zu erreichen. Aber bei jedem Fehltritt, den sich Marken im Bereich Nachhaltigkeit leisten, erzeugen sie mehr und mehr Reaktanzen in der Gesellschaft. Für das in weiten Teilen bereits ohnehin kritisch beäugte Thema wird es dadurch noch schwieriger, Menschen zu bewegen.

Das heißt aber nicht, dass wir Nachhaltigkeitsaktivitäten und -kommunikation aus Angst vor Kritik gar ganz vermeiden sollten („Greenhushing“). Im Gegenteil! Wenn sich ein Unternehmen in ernsthaftem Maß in eine nachhaltige Richtung bewegt, sollte man darüber auch reden. Nach wie vor ist das große Feld der Nachhaltigkeit eine große Chance, sich zu differenzieren und positiv bei der Zielgruppe zu punkten. Und gleichzeitig motiviert es andere Unternehmen, ebenfalls zu handeln und zu kommunizieren.

So gibt es auch gute Beispiele der Nachhaltigkeitskommunikation: Mit ihrer „Gegen Hass im Netz“-Initiative setzt die Deutsche Telekom anders als die meisten Unternehmen kommunikativ nicht primär auf ökologische (#GreenMagenta), sondern auf soziale Nachhaltigkeit (#GoodMagenta). Das ist schlau, weil zum einen differenzierend im Markt, zum anderen auch absolut glaubwürdig, da das Unternehmen ein offensichtliches wirtschaftliches Interesse hat, möglichst viele Menschen an der Kommunikation in ihrem Netz teilhaben zu lassen. Und neben herausragender Kommunikation, die seit Jahren zu dem Thema entsteht, handelt die Telekom auch danach und engagiert sich gegen Hass und Hetze im Netz. Zurecht wurde diese Initiative daher auch kürzlich mit dem Grand Effie ausgezeichnet.

Mein Appell: Lasst uns Nachhaltigkeitskommunikation unbedingt machen, aber nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ja, sie soll sich am Ende freudvoll und vollkommen leichtfüßig anfühlen, aber ihre Entwicklung ist nicht leicht. Lasst uns darauf achten, dass wir dieses Thema seiner Relevanz und Brisanz gebührend angehen – nicht nur im Sinne der von uns betreuten einzelnen Marken, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Sinne.