Franka Mai New Business
„Eine Welt, in der Nachhaltigkeit in der Werbung Priorität hat?“. Faszinierender Ausblick, denke ich, und beginne, ganz Strategin, Szenarien zu entwickeln. Gleich das erste trifft mich wie ein Schlag: Vermutlich wäre ich arbeitslos.
Der Anfang vom Ende der Werbeindustrie?
Aber fangen wir von vorne an: Beim so genannten Worst-Case-Szenario. Eine Welt in der Nachhaltigkeit wahrhaftig die oberste Priorität hätte, mit bedingungsloser Konsequenz, wäre möglicherweise eine Welt, in der es gar kein Marketing, keine Werbung mehr gäbe. Denn seien wir ehrlich: Konsum – lateinisch consumere „verbrauchen“ – ist nun mal das Gegenteil von erhalten und wiederherstellen. Moderner Konsum erfordert Ressourcen, Energie, Transportwege. Nur wenn wir ihn auf das Mindeste reduzieren und verzichten lernen, kann Konsum ansatzweise nachhaltig sein. Nicht nur klimaschädliche Produkte wären dann tabu, sondern jede Form unnötiger Kaufaktivierung. Keine Supersparwochen, kein Winterschlussverkauf. Lediglich Suffizienzmarketing wäre vielleicht noch im Rahmen des Erlaubten: „Don’t buy this jacket“ mahnte schon Patagonia 2011 in einer legendären Anti-Black-Friday Kampagne.
Bei so geringen Mediaausgaben würden bald die großen werbefinanzierten Plattformen den Dienst einstellen oder auf Bezahlmodelle umstellen. Der endgültige Untergang von Google, Meta und co.?
Die wenigen Unternehmen, die es schaffen, in dieser konsumbefreiten Zukunft weiter zu bestehen, werden ihre Existenz mit knappen Inhouse-Ressourcen verteidigen. Wäre das also das Ende der Werbeindustrie?
„Das ist ja vollkommen unrealistisch! Konsum ist nun mal Teil unserer Kultur und Motor der Wirtschaft.“ denke ich desillusioniert, aber zugleich auch erleichtert. Es muss noch andere Szenarien geben, in denen nicht radikaler Verzicht die alleinige Antwort auf nachhaltigen Konsum ist, sondern das Umlenken der Konsumkraft in bessere Muster.
Werbung, die Gutes bewirkt
Also zum kompletten Gegenentwurf: Einer Welt, in der die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit der Werbeindustrie zu neuem Aufschwung verhilft. Wenn uns die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann hoffentlich, dass jede – auch durch Krisen forcierte – Transformation zwar anstrengend ist, am Ende aber auch Potenziale birgt.
Zum Beispiel neue Schwerpunkte und Themen. Kein haltloser Mehrkonsum, sondern Fokus auf eine gesunde und bewusste Lebensweise, auf Langlebigkeit und Qualität, auf Recommerce und Second-Hand, auf Herkunft und Herstellung. Fokus auf mehr Wertschätzung von Produkten und Services, über die man sich immer wieder freuen kann, statt nur einmal.
Neue Anlässe, neue KPI, neue Wachstumsbereiche
Neue Konsumanlässe würden entstehen: Statt Black Friday, gäbe es „Repair-Recycle-Reuse“-Aktionstage. Gezielte Anlässe, Dinge wieder in den Ressourcenkreislauf zurückzuführen.
Erfolgreiche Kommunikation und Mediaplanung müsste sich an neuen Maßstäben messen lassen: Reduktion von Emissionen wäre die oberste KPI. Kleine, kurze, schnelle digitale Formate wären das Herzstück jeder Mediastrategie. Landing-Pages würden auf kürzere statt längere Verweildauer optimiert.
All das bräuchte wissenschaftliche Expertise und vielleicht sogar Reglementierung. Statt Stellenabbau florieren neue Fachbereiche: Von Diversity Consulting, über Green Media und Green Production bis zur CO2-Bilanzierung ganzer Kampagnen.
Mehr Kreativität, mehr Talente
Kreativität bekäme einen noch höheren Stellenwert. Weil Massenmedien und Remarketing-Algorithmen ausgedient hätten (schlechte Klimabilanz) und weil Nachhaltigkeit allein kein Differenziator mehr wäre. Wenn alle ‘gleich gut’ sind, braucht es neue, emotionalere, unterhaltsamere Perspektiven und Umsetzungen. Jede Marke müsste sich eigene Umfelder schaffen, um Menschen zu erreichen. Damit würde die Branche schließlich auch wieder zum Magnet für junge sinnsuchende kreative Talente.
Am Ende wird die Wahrheit, wie so oft, zwischen beiden Welten liegen. Ich persönlich hoffe auf die letztere und darauf, dass diese Welt gar nicht so weit entfernt ist. Eine ganze Branche die kollektiv ihre Fähigkeit erkennt und nutzt, Gutes voranzubringen. Wie toll wäre das?