Text von Tim Stübane Horizont
Das Thema Fachkräfte- und Nachwuchsmangel treibt die Agenturbranche schon lange um. Lösungsansätze gibt es viele, die Umsetzung gestaltet sich jedoch weiterhin schwierig. The-Goodwins-Kreativchef Tim Stübane erörtert in seiner Talking-Heads-Kolumne, woran es den Agenturen wirklich fehlt – und geht dabei gezielt über das Nachwuchsproblem hinaus.
Was ist unser Problem?
Agenturen haben ein Nachwuchsproblem. Wissen wir mittlerweile alle. Zumal jede Branche dieses Problem zu haben scheint. Aber worin liegt es bei uns begründet? Und was können wir im Speziellen dagegen tun? Aktuelle Studien zeigen, dass die Arbeitsplatzsicherheit und das Gehalt die wichtigsten Faktoren für die Wahl eines Arbeitgebers sind. Sie sind aber ziemlich schlechte Differenziatoren gegenüber anderen Branchen, die mehr zahlen und deren Geschäft nicht zunehmend auf volatiler Projektbasis erfolgt.
Was bis vor ein paar Jahren noch ein Garant für die Gewinnung von Mitarbeitenden war, zieht nicht mehr: Awards, die vermeintlichen ultimativen Beweise für kreative Exzellenz, sind nicht mehr der ausschlaggebende Faktor, um in einer bestimmten Agentur anzuheuern. Im Gegenteil: Der ganze Awardzirkus wirkt eher wie aus der Zeit gefallen. Selbst der Agenturstandort hat an Relevanz eingebüßt, seit remote von überall gearbeitet werden kann.
Gibt es überhaupt noch etwas, für das sich junge, kreative Menschen noch gerne in eine Agentur begeben – verrückterweise in Festanstellung? Was veranlasst sie, sich mit Herzblut für eine Aufgabe, den Kunden und seine Organisation einzusetzen? Und die häufig verunglimpfte Generation Z, die angeblich nur noch auf ihre Freizeit schaut – wie kann sie gewonnen werden? Oder ist sie für die Agenturbranche verloren?
Es fehlt an Profil und Sinnhaftigkeit
Eine Mitarbeiterin der Grünen erzählte mir kürzlich, dass bei ihnen vor allem junge Leute einen unglaublichen Einsatz bringen. Wenn es sein müsse, klotzten sie unerbittlich ran, manchmal bis fünf Uhr morgens. Das hat mich überrascht! Ich dachte, wir hätten das hinter uns gelassen. Lösen die Ziele und das kollektive Arbeiten an der Zielerreichung diese hohe Motivation aus?
Möglicherweise. Denn was nach wie vor bei der Wahl eines Arbeitsgebers relevant ist, ist die Unternehmenskultur mit einem positiven Miteinander und die Sinnhaftigkeit der Unternehmung. Ich frage mich nur, wo wir in Deutschland solche Agenturen haben?
Wir alle kennen die Studie Meaningful Brands von Havas, die zuletzt besagte, dass 75 Prozent aller Marken von den Menschen nicht vermisst würden. Wie stark kann die Motivation wohl ausfallen, wenn man in Agenturen für eine dieser Marken arbeiten soll? Wie würde die Studie also wohl ausfallen, wenn wir sie nur für den Agenturmarkt durchführen würden? Vermutlich noch krasser. Denn wer für Marken arbeitet, die man nicht vermissen würde, kann auch nur einen Job haben, den man nicht vermissen würde, oder?
Dies ist defintiv die große Strömung. Im Detail kann es natürlich Ausnahmen und Ausreißer geben. De facto gelangten viele Bewerber erst gar nicht ins Relevant Set der Agenturen. Zu unbekannt und unattraktiv sei die Branche, so die geläufige Einschätzung von Agenturmanagern.
Mein Ex-Partner Simon Usifo, Präsident von 72 and Sunny in Amsterdam attestierte neulich, deutsche Agenturen seien sich zu ähnlich. Damit hat er Recht. Ein Großteil der wichtigsten Agenturen ist Typ „Networkableger“ oder inhabergeführt Typ „Gründername A / Gründername B“. Mit dieser Ähnlichkeit multiplizieren sich natürlich auch die Schwächen.
Eine Schwäche von Agenturen ist die fehlende attraktive, differenzierende Unternehmenskultur und der fehlende höhere Sinn.
„Aber ist der Sinn einer Agentur nicht, Kommunikation zu entwickeln?“ Schon, klar. Doch das reicht eben nicht mehr aus Sicht der Mitarbeitenden. Gefragt ist die Sinnhaftigkeit des Unternehmens, die eine Antwort liefert auf „Warum mach ich das hier eigentlich jeden Tag?“
Ist die Sinnhaftigkeit gegeben, wird zurecht auch viel Energie in die Arbeit gesteckt. Aber eben nicht, wenn es darum geht, das x-te ungesunde Produkt emotional aufzuladen. Dahinter sehen immer weniger Menschen in der Branche einen Sinn. Interessanterweise haben Ältere die Nase voller davon als Jüngere, während Jüngere stärker aufs Gehalt achten. Ein Grund mehr, Ältere mit dem passenden Umfeld und einer Sinnhaftigkeit länger in der Branche zu halten.
Zusammen sind wir stärker
Unsere Kultur muss attraktiver sein als die anderer Branchen. Das miteinander Wirken, am besten noch auf ein sinnvolles Ziel hin, ist ein Schlüssel dabei. Hier sind wir insgesamt zu schwach, mein Eindruck. Dabei hätten wir als Kreativbranche das Potenzial zu mehr.
Unsere Aufgabe: ein klares Bild schlauer, zeitgemäßer, aber auch zueinander diverser Agenturen entwickeln. Cooler als Big Corporates, solider als Start-Ups. Tim Stübane
Ich freue mich immer, wenn ich von ungewöhnlicheren Vertretern höre, z.B. Lure Media (Bezug zu Content), Agentur XY (Bezug zu Produktion), Below 1 (Koop mit Online-Plattform), Antoni (Customized) oder Oliver (Inhouse Lösung). Letztlich sind sie interessante Facetten der Branche und machen uns attraktiver.
Als The Goodwins haben wir hier einen unfairen Vorteil, denn das Gute, Sinnvolle zu unterstützen, ist bereits unsere Unternehmensidee und entspricht unserer Unternehmenskultur. Entsprechend leichter fällt es uns, uns für die Arbeit zu begeistern und Mitarbeitende zu finden, die das gleiche tun. Doch auch wir spüren natürlich, wie dünn der Markt an potenziellen Mitarbeitenden ist.
Dieses Thema müssen wir gemeinsam angehen. Zusammen mit den Verbänden oder als Agenturkonglomerate. Wie wäre es beispielsweise mit einem Ausbildungfonds, der junge Menschen in die Werbung bringt? Dafür sammeln wir gemeinsam Geld, legen es nachhaltig an und investieren Jahr für Jahr aus ihm in den Nachwuchs unserer Branche. Muss man genauer durchdenken, klar. Aber worauf warten wir eigentlich?